NINA BACKMAN

Schokierende begegnung auf einer Berliner seitenstrasse

Kunst von Nina Backman basiert nicht auf einer einzigen Machart oder einem Stil, ganz zu schweigen von Material und Maß. Von daher kann jedes Thema, das die Künstlerin anspricht realisiert werden, trotz Begrenzungen in der Aussprache. Ihre bisherige Produktion beinhaltet Photos, Photogemälde, Skulpturen, Performance und Filme. Der Besuch in der neuesten Privatausstellung zeigt, dass die Liste weiterhin wächst.

Aus der Perspektive des Modernismus wäre diese Art von Vielfalt Zeichen einer zersplitterten und instabilen Künstleridentität. Der Kanon fesselt jedoch den Künstler in keiner Weise. In der Ausstellung kann man feststellen, dass insbesondere die Tradition des radikalen Avantgardismus die Künstlerin zu entscheidenden und schließlich auch produktiven Ausnahmen ermuntert, immer wenn es notwendig zu sein scheint.

Die Veränderung ist nicht das Ziel selbst, sondern folgt einer gewissen, aktiven Zielsetzung der Kunst. Für die Verwirklichung der Kunst, die mit dem Leben und mit der erlebten Wirklichkeit zu tun hat, ist es wichtig, dass die Themen ein möglichst genaues und sogar zweckmässiges Ausdrucksmittel finden. Dies soll jedoch keine konzeptuelle Trockenheit bedeuten. Die teilweise sehr unterschiedlichen Kunstwerke haben nicht nur einen roten Faden gemeinsam, sondern auch eine poetische Sensibilität, die charakteristisch ist für Nina Backmans Kunst. Sie strahlt aus der Visualisierung der Themen, der Sorgfältigkeit der Handarbeit als auch aus der Atmosphäre, die durch die Anordnung zwischen den Werken entsteht.

Die Ausstellung wird von der Raumskulptur „Help me, I´m God!“ dominiert. Laut Künstlerin ist ein Podiumsgespräch, das sie auf BBC World gesehen hatte, dem Kunstwerk vorausgegangen. Das Gesprächsthema war das Recht einer muslimischen Frau sich mit z B einem Christen oder mit einem Juden zu verheiraten. Das Programm hat Gedanken erweckt über die für Frauen diskriminierenden Gesetze der Religionen, deren Absurdität ein absolutes Hindernis für die natürliche Entwicklung der Multikulturalität ist. Diese Gedanken führen zu ihrer nächsten entscheidenden Wahrnehmung, oder besser, bereiten ihre genaue Reaktion darauf vor. Später am gleichen Tag ging sie nämlich in einer Berliner Seitenstrasse spazieren, und sah in der Mitte der Strasse einen alten, kaputten Stuhl. Auf dem Rücken des Stuhls stand der Text „Help me, I´m God!“ Das zufällig begegnete Objekt mit seinem Text wirkte wie eine Offenbarung, und diente vor allem als ein visuelles Äquivalent, oder ein Konzept für ihre Gedanken.

Die Künstlerin nahm das Werk, inspiriert und hergestellt von der Wirklichkeit, entgegen: „Ich setzte mich für eine Weile auf den Stuhl und ließ meine Gedanken frei fließen. Ich habe den Moment sozusagen zusammen mit den Gedanken, aus denen auch die anderen Werke der Ausstellung entstanden sind, eingefroren.“ Auch die Zuschauer der Galerie dürfen sich auf dem Stuhl niederlassen. Der Stuhl funktioniert wie eine Art Magnet, der alle Werke der Ausstellung, sowohl visuell, als auch inhaltlich zusammenzieht.

Der Grund für die schockierende Begegnung auf der Seitenstrasse kann auch bei Marcel Duchamps Readymade liegen. Als Readymade suchte Duchamp immer Objekte aus, die vom Anwendungszweck her bekannt und gewöhnlich waren, und fügte dann einen Text hinzu. Das eigenartige in Backmans „Help me, I´m God!“ -Readymade ist, dass nicht nur das Objekt, sondern auch die sprachliche Nachricht auf dem Objekt, schon fertig war. Duchamp mit seinem Readymade erprobte die Grenzen der Kunstwelt, Backmans Readymade ist nicht nur von der Wirklichkeit erschaffen, sondern noch dazu in der Wirklichkeit getestet worden.

Die Tatsache, dass das gefundene Objekt einen fertigen Readymade –Effekt mitbrachte, scheint Nina Backman jedoch nicht erstrangig gewesen zu sein, auch wenn sich das Werk doch dadurch an einen bestimmten kunsthistorischen Kontext anschließt. Umso wichtiger war es, dass der Effekt direkt und präzisierend mit den eigenen Gedanken und mit der sich entwickelnden Künstleridentität zusammentraf. Der Text des Readymades gibt dem tragischen und zugleich vielfältig mysteriösen Chaos der Weltsituation Ausdruck. Er erinnert an einen globalen Schrei oder einen Hilferuf.

Die Kombination des Namens und des Objekts im Readymade verursacht einen Wechsel in der Perspektive, dessen Einfluss das Werk mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen versieht. Nach Duchamps Prinzip mussten diese vom Zuschauer selbst gefunden werden. In der Ausstellung von Nina Backman gibt es eine entscheidend andere Situation. Man könnte sagen, dass das Werk „Help me, I´m God!“ auch diese Bedeutungsebenen beinhaltet, die die Künstlerin in ihren anderen dargestellten Werken in die Hauptrolle gehoben hat. Auch wenn die Ausstellung aus mehreren Themen und Werkserien besteht, ist es empfehlenswert sich ihnen als ein einziges installiertes Werk in der Galerie zu nähern.

Hannu Castrén